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Alte und besondere Bäume
#77
Einleitung / Projektbeschreibung: Der NUVRA hält immer die Augen offen, wo es in der Landschaft Gelegenheiten gibt, mit kreativen Ideen die Artenvielfalt zu erhalten und zu fördern. Mit der Erhaltung der «Efeubäume» haben wir ein sehr spezielles, ökologisch wertvolles und attraktives Element der Kulturlandschaft Rothenfluhs in den Fokus genommen. Erklärt man jemanden, dass der Efeubaum gar kein richtiger Baum ist, ist das Erstaunen oft sehr gross. Efeu ist eine häufige Pflanze und keineswegs bedroht. Bei diesem Projekt soll jedoch die spezielle Wuchsform des Efeus erhalten werden. Die Efeubäume Rothenfluhs sind ein Unikum und nur dank spezieller Umstände entstanden (siehe Kap. 3). Die Bewohner und Bewohnerinnen sollen zudem für den Natur- und Landschaftswert dieser scheinbar nutzlosen Baumphänomene sensibilisiert werden. Die Landeigentümer und Bewirtschafter sind mit diesem NUVRA-Projekt einverstanden.

Was möchte der NUVRA zur Erhaltung der Efeubäume unternehmen? Die 14 von uns ausgewählten Efeubäume werden in den nächsten Jahren von alleine umfallen, sobald der Trägerstamm abgefault ist. Einzelne vielleicht schon beim nächsten Sturm oder auch erst in 5 Jahren, das lässt sich nicht voraussagen. Der NUVRA möchte das Leben dieser eindrücklichen und einmaligen Landschaftselemente um Jahrzehnte verlängern und als Trittsteinbiotope sowie als landschaftsprägende Strukturen erhalten. Mit Stützpfählen und Verstrebungen im Stammbereich wird verhindert, dass der Efeu in sich zusammenfällt, wenn der Trägerbaum zu schwach geworden ist. Theoretisch könnten die Trägerstützen immer wieder erneuert und die Lebensdauer noch weiter verlängert werden. Efeu kann an langlebigen Baumarten durchaus ein Alter von 450 Jahren (!) erreichen. Wer weiss, vielleicht pilgern in 100 Jahren BesucherInnen nach Rothenfluh, um die «Efeumonumente» zu bestaunen. Um die Artenvielfalt von Kleintieren zusätzlich zu fördern, ist das Erstellen von Kleinstrukturen am Fusse einiger Bäume vorgesehen. (Steinhaufen, Totholz etc.) Wir möchten auch die Bevölkerung im Rahmen von naturkundlichen Exkursionen und in den Gemeindenachrichten künftig auf diese Besonderheit in der Landschaft Rothenfluhs aufmerksam machen. Damit wollen wir die Basis legen, damit in Zukunft neue Efeubäume entstehen können und toleriert oder sogar bewundert werden.

Bauprinzip des Trägergerüstes: Wir verwenden dauerhafte, entrindete und naturbelassene Kastanienrundhölzer (ohne Imprägnierungsmittel) aus Italien von 4 bis 6 Metern Länge und 10 bis 12 Zentimetern Durchmesser. Das natürlich im Kastanienholz enthaltene Tannin macht die Rundhölzer resistent gegen Fäulnispilze. Die Lebensdauer solcher Pfähle kann ohne weiteres 30 Jahre betragen, sofern sie immer abtrocknen können und keinen Erdkontakt haben. Die Idee ist abgeleitet von Kastanienholz-Pergolen in Italien. Als Verankerung im Boden werden Bodenhülsen aus verzinktem Eisen versenkt, damit das Holz, wie oben erwähnt, keinen Kontakt zur Erde und Feuchtigkeit hat. Mit Eisendraht, Drahtspannern und Querstreben aus Robinienpfählen werden die Rundhölzer miteinander horizontal und diagonal verstrebt. Je nach Lage, und Form des Efeubaumes braucht es 3 bis 4 solcher Kastanienrundhölzer und 3 bis 6 Robinienpfähle. Von Weitem sind nur die Rundhölzer im unteren Stammbereich zu sehen. Umweltverträglichkeit, Recycling, Unterhalt Das Holz ist unbehandelt und kann, wenn es ausgewechselt werden muss, z.B. in einer Hecke als Totholzstruktur deponiert werden. Das Eisen lässt sich via Alteisensammlung entsorgen. Der Efeu selbst braucht keine Pflege. Die Trägerstruktur wird durch den NUVRA regelmässig kontrolliert und allenfalls ausgebessert. Der Aufwand einer Stützung pro Exemplar ist nicht unbeträchtlich. Vorbereitung, Transport und Aufbau der Stützen benötigt einen Tag Arbeit für zwei Personen, also 16 Stunden (Offerte Landwirt Jan Rüegsegger).

Ökologische und ästhetische Bedeutung: Frei stehende Efeubäume in der Kulturlandschaft bilden eigene kleine und artenreiche Trittsteinbiotope und sind ein attraktives Element in der Landschaft. Eine Umfrage unter den Insekten würde dem Efeu sicher allerbeste Beliebtheitswerte bringen. Am Efeu wurden 68 Insektenarten als Blütenbesucher nachgewiesen. Als die spätblühendste einheimische Pflanze überhaupt blüht sie erst, wenn sonst nur noch wenige Nektarquellen zur Verfügung stehen (meist ab Ende September und dann bis in den November oder sogar Dezember hinein). Die in einer Halbkugel angeordneten, unscheinbar gelbgrünen Blüten sind völlig offen, so dass Besucher aller Art eine über mehrere Wochen ergiebige und gut erreichbare Nektar- und Pollenquelle vorfinden. Praktisch alles, was sechs Beine hat, kommt im Herbst hier vorbei (z.B. Ameisen, Fliegen, Schwebfliegen, Wespen, Schmetterlinge und Bienen). Besonders erwähnenswert ist die Efeu-Seidenbiene, welche unausweichlich auf Efeublüten angewiesen ist.
Die während des Winters und Vorfrühling blauschwarz heranreifenden Früchte sind eine willkommene Nahrung, und zwar dann, wenn die meisten Wildfrüchte bereits von Tieren abgeerntet sind. Sie werden vor allem von Staren, Amseln und anderen Drosseln gerne gefressen. Für mindestens 17 Vogelarten wurden Efeufrüchte als Nahrung nachgewiesen. Vögel suchen während der Wintermonate oft Efeugeflechte als deckungsreiche Schlafplätze auf. Da der Efeu immergrün ist, sind sie im Innern der Kletterpflanze vor Feinden und Witterung gut geschützt. Efeubäume bieten auch gute und vor Eierdieben versteckte Nistmöglichkeiten für freibrütende Vögel. Ein gut untersuchtes Beispiel ist der Weisweiler Rheinwald in der oberrheinischen Tiefebene, in welchem im dichten Gewirr efeubewachsener Bäumen zehn Vogelarten als Brutvögel registriert wurden, nämlich Amsel, Singdrossel, Mönchsgrasmücke, Zaunkönig, Zilpzalp, Sommergoldhähnchen, Schwanzmeise, Waldbaumläufer, Ringeltaube und Eichelhäher. Selbst der efeubewachsene und absterbende Trägerbaum am Ende seiner Lebenszeit (s. Kap. 4) ermöglicht als artenreiches Biotop neues Leben. Die Höhlungen und Spalten seines Totholzes werden von spezifischen Käfern, Solitärbienen und weiteren Insekten genutzt. Insbesondere die selten gewordenen Käferarten, die den Holzmulm bewohnen (z.B. der Grosse Goldkäfer) können dank des stehenden Totholzes gefördert werden. 47 Pilzarten wurden von Forschenden an Efeupflanzen nachgewiesen. Die Baumhöhlen werden als Versteck- und Überwinterungsort von Fledermäusen und Kleinsäugern (Siebenschläfer, Waldmaus) gern genutzt oder als Brutplatz von höhlen- und nischenbrütende Vogelarten (z.B. Weidenmeise, Rotkehlchen, Trauerfliegenschnäpper) ausgewählt. Bodenhöhlen im Strunk- und Wurzelbereich reichen bis zu 1 Meter tief in den Boden und sind ideale Verstecke und frostfreie Überwinterungsorte für Amphibien, Reptilien, Kleinsäuger und andere Kleintiere. So bietet sich bei abgängigen oder toten Bäumen daher sogar eine Efeupflanzung an, statt die Bäume zu fällen. Aus dem kränkelnden oder toten Baum kann so ein immergrüner, im Herbst reich blühender Blickfang voller Leben werden.

Die Entstehung eines Efeubaums: Efeu ist eine Kletterpflanze und kann selber keinen standfesten Stamm ausbilden. Er braucht einen sogenannten Ammen- oder Trägerbaum, um in die Höhe wachsen zu können. Daneben wächst Efeu natürlich auch an Felsen und Mauern. Feldbäume werden von Vögeln immer direkt angeflogen, worin sie sich meist eine Weile aufhalten. Mit dem Kot ausgeschiedene Samen des Efeus gelangen somit per «Vogeltaxi» zu den Bäumen bzw. auf den Boden im Stammbereich. Nach der Samenkeimung wächst ein spaghettidünner Trieb über den Boden in Richtung Schatten des Stammes, um auf diese Weise seinen Stützbaum zu finden. Ausgestattet mit Haftwurzeln klettert der Trieb daraufhin vertikal den Baumstamm hinauf – bei günstigen Verhältnissen über 15 Meter hoch. Nachdem sich der Efeu im Innern einer Baumkrone etabliert hat, ändert er nach vielen Jahren seine Wuchsform: Er wächst nun buschiger und bildet anstelle der Klettertriebe nur noch Kurztriebe. Auch die Blattform ändert sich: Sie wechselt vom typischen dreilappigen Efeublatt (der sog. Jugendform) zu einer rhombischlänglichen Blattform und blüht und fruchtet von da an (der sog. Altersform). Ein «Wiederzurückschalten» in die Jugendform ist für die Pflanze nicht mehr möglich. Sie bleibt nun bis zu ihrem Lebensende in diesem Habitus.
Fast alle genannten Lebensraumfunktionen setzen die Erhaltung von alten blühenden und fruchtenden Efeupflanzen voraus oder sind bei solchen Exemplaren jedenfalls optimiert. Da Efeu frühestens nach zehn Jahren zur Blüte kommt und an grossen Bäumen, vor allem im Wald, meist sogar mehrere Jahrzehnte bis zur Blühreife benötigt, verdienen Efeupflanzen, die dieses Stadium erreicht haben, einen besonderen Schutz. Dies gilt erst recht für besonders alte und starke Efeustämme, die mit bis zu150 bis 200 Jahren ihre Stützbäume um Jahrzehnte überleben und aus Naturschutzsicht ebenso wie Uraltbäume erhalten bleiben sollten. Ein gesunder, wüchsiger Obstbaum hat kein Problem, wenn eine Efeupflanze im Innern der Krone wächst. Im winterlichen Zustand ist zu erkennen, dass auch bei kräftigem Efeubewuchs die für die Assimilation entscheidenden Aussenbereiche der Baumkrone nicht überwuchert werden. Blätter und Obst des Trägerbaumes wachsen und gedeihen gut an der Peripherie, im Bereich des meisten Sonnenlichtes, dort wo der Efeu nicht hinwächst. Hochstamm-Obstbäume werden in der Regel nicht uralt wie Eichen oder Lärchen (im Durchschnitt 60-80 Jahre). Gegen Ende ihres natürlichen Lebens sterben sie langsam ab. Holzzersetzende Pilze (Baumpilze) lassen das Holz morsch werden, bis die Äste und der Stamm hohl werden und abbrechen. In einer ersten Phase verliert der Obstbaum seine äussersten Äste, auch brechen ganze Hauptäste ab. Dem Efeu geht es in dieser Abbauphase des Trägerbaumes gut. Er bildet eine kompakte, kugelige Krone mit 2 bis 4 Metern Durchmesser. Nach weiteren Jahren oder Jahrzehnten sind vom Ammenbaum nur noch der ausgetrocknete Stamm und die Stümpfe der Hauptäste vorhanden, welche vom Efeu üppig überzogen und kaum mehr zu sehen sind. In dieser Phase erscheint der Efeu daher wie ein normaler Baum mit dickem Stamm: Ein Efeubaum, der in voller Pracht in der Landschaft steht! Diese hält aber nur solange an wie der Trägerstamm nicht gänzlich morsch ist. Wenn seine Standfestigkeit am Ende ist, fallen Baumrest und Efeu beim nächsten stärkeren Windstoss um. Das brüchige, oft armdicke Efeuholz wird dabei meist auch gekappt; am Boden liegend treibt die Kletterpflanze nicht mehr aus und ihr schmackhaftes Laub ist nun gut erreichbar für Rehe – nach Jahrzehnten das natürliche Ende einer Efeupflanze!

Ist Efeu ein Parasit? Efeu ist eine verholzende, immergrüne Kletterpflanze und kein Schmarotzer. Seine Haftwürzelchen können weder Wasser noch Nährstoffe aus anderen Pflanzen saugen, sondern dienen nur dem Festhalten an der Borke. Auch dass er den Trägerbaum «erwürgen» soll, stimmt nicht. Im Gegenteil: Bäume profitieren sogar: So schützt Efeu Baumstämme beispielsweise vor Sonnenbrand. Es gibt auch keine Hinweise, dass Efeu eine starke Konkurrenz im Boden um Wasser und Nährstoffe darstellt. Stirbt der Trägerbaum, so ist der Grund fast immer Altersschwäche oder eine Erkrankung. Efeu als Baumtöter wurde bis anhin in keiner Untersuchung bestätigt. Es wäre zu wünschen, dass Bekämpfungsmassnahmen dieser aussergewöhnlichen Pflanze, insbesondere das Kappen alter, gosser Efeulianen, bald der Vergangenheit angehören.

Natur- und Vogelschutzverein Rothenfluh – Anwil / NUVRA
http://www.nuvra.ch/


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Grundsteinlegung NSG- u. FFH-Gebiet
Wupper bei Radevormwald


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Alte und besondere Bäume - von Okina75 - 14.06.2016,18:20
RE: Alte und besondere Bäume - von Okina75 - 17.06.2016,14:50
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